Neuigkeiten aus Australien

Sigi Arnade (Rollstuhlfahrerin) und Günter Heiden (Fußgänger) sind von Juni bis Dezember 2003 sechs Monate lang durch Australien gefahren. Über ihre Recherchentour im vorigen Jahr und ihre Pläne für dieses Jahr haben sie uns in unserer Märzsendung ( Studiosendung / " Neue Wege, neue Ziele") berichtet. Ihre Erlebnisse haben sie uns monatlich per e-mail geschildert.

Windorah - hier leben ganze 80 Menschen links und rechts der etwa einen Kilometer langen Hauptstraße. Es gibt einen einzigen Laden, der gleichzeitig die Tankstelle des Dorfes ist. Die nächsten Ortschaften mit mehr als 1.000 EinwohnerInnen liegen über 300 Kilometer weiter östlich. Richtung Westen gibt es einige Rinderfarmen, zum Teil von der Größe des Saarlandes, und nichts als Wüste. "Hier möchte ich nicht tot überm Zaunpfahl hängen", hätte mein Ex-Mann gesagt. Günter und ich jedoch erleben Windorah als Inbegriff der Zivilisation und als Hort der Sicherheit.

Als wir zum ersten Mal in den Outback-Ort Windorah kamen, näherten wir uns von Westen. Hinter uns lag eine mehrere hundert Kilometer lange Fahrt. Als "Outback" bezeichnen die Australier die einsamen, dünn besiedelten Gebiete im Innern des Kontinents. Eine exakte Definition des Begriffs oder scharf markierte Grenzen des Outback gibt es nicht. Wir jedenfalls waren 800 Kilometer Schotter-, Sand- und Lehmpiste gefahren, hatten auf roter Erde, stets umhüllt von rotem Staub, die Entfernung von Hamburg nach München zurückgelegt. Auf dieser Strecke durchquerten wir das Gebiet von knapp zehn Farmen und verbrachten zwischendurch zwei Tage in einem Nationalpark.

Dort paddelten wir bei Sonnenaufgang auf einem Wasserloch inmitten von Pelikanen. Die Morgenstunde wählten wir, um nicht von Myriaden von Fliegen gestört zu werden. Mit Sonnenuntergang verschwinden die Fliegen wieder. Dann schauten wir abends in den weiten Outback-Sternenhimmel und wurden uns bewusst, wie klein wir Menschen und wie relativ unbedeutend unsere alltäglichen Sorgen sind.

In den vier Tagen dieser Tour sahen wir immer wieder Schwärme von Wellensittichen, die sich als grüne Wolken erhoben, wenn wir vorbeifuhren. Ansonsten begegneten uns einige versprengte Farmer und eine Handvoll Camper. Es gab keinen Ort, keinen Laden, keine Tankstelle, keinen Wasserhahn. Als wir danach in Windorah ankamen, entdeckten wir als erstes eine rollstuhlzugängliche öffentliche Dusche. Wir konnten unsere Vorräte auffüllen und endlich wieder tanken, denn wir hatten erstmals beide Tanks unseres Autos benötigt. Durch den öffentlichen Internetzugang in der Touristeninformation nahmen wir wieder Kontakt zur Außenwelt auf. So hatten wir mitten im Outback wieder alle Annehmlichkeiten der Zivilisation.

Als wir Windorah zum zweiten Mal erreichten, sangen wir beide "Freiheit" von Marius Müller-Westernhagen. Nach einem Regentag waren wir von Windorah aus zum 100 Kilometer entfernten Welford Nationalpark aufgebrochen, um dort zu paddeln. Wir kamen problemlos über die Schotterpiste bis zum Park, aber die Straße im Park war lehmig, so dass das Regenwasser nicht versickern konnte, sondern sich überall Schlammtümpel bildeten. In einem solchen Schlammloch blieben wir stecken, die Räder drehten durch und gruben eine circa 50 Zentimeter tiefe Rinne in den Matsch. Durch Rückwärts-Vorwärts-Fahren gelang es Günter mit unserem allradgetriebenen Auto, wieder frei zu kommen. Wir fuhren zur nächsten Stelle mit festem Untergrund und blieben stehen. Dort harrten wir 24 Stunden aus, umsurrt von Unmengen von Fliegen, hörten hin und wieder Motorengeräusche in der Ferne, aber es kam kein Auto. Als sich dann die ersten Wolken am Himmel zeigten und wir weiteren Regen fürchteten, wagten wir einen "Befreiungsversuch". Langsam tasteten wir uns von Schlammloch zu Schlammloch, Günter erkundete es jeweils zu Fuß, wir machten einen Umgehungsplan, wünschten uns alles Gute, und los ging es mit viel Gas und noch mehr Adrenalin. Als wir danach die Straße und später Windorah erreichten, plumpsten uns gleich mehrere Felsbrocken von den Herzen, und wir waren froh, dass wir unseren Notfallsender nicht hatten einsetzen müssen.

Gepaddelt sind wir dann auf dem Cooper Creek bei Windorah und entdeckten viele Schildkröten im Wasser und an der Ufern, an denen man auch hervorragend campen konnte. Und in der Nähe hatten wir eine Rollstuhltoilette und eine barrierefreie Duschmöglichkeit.

Nach insgesamt zwei Wochen im Outback war uns wieder nach Küste zumute, wo wir in Queensland unterhalb des Wendekreises des Steinbock einige Küstenorte und Nationalparks besuchten. Von dem Ort Hervey Bay aus nahmen wir an einer halbtägigen Whale-Whatching-Fahrt teil und beobachteten Buckelwale, die sich hier aufhalten, ehe sie in die Antarktis aufbrechen. "Nine o´clock, nine o´clock, mother and calf, mother and calf" (Neun Uhr, neun Uhr, Mutter und Kalb, Mutter und Kalb), schallte es plötzlich aus dem Schiffslautsprecher. Es handelte sich um keine Zeit-, sondern um eine Richtungsangabe. Links vom Schiffsrumpf ragte die riesige Schwanzflosse eines Wals senkrecht aus dem Wasser und blieb so unbeweglich einige Minuten lang stehen. Das bedeute, dass eine Walmutter ihr Kalb säugt, wurde uns erklärt. Die jungen Wale trinken täglich 500 bis 600 Liter Milch und nehmen 50 Kilogramm pro Tag zu. Es gibt zwei Anbieter solcher Touren, die mit ihrer Rollstuhlzugänglichkeit werben, wobei nur der Anbieter "Whalesong" tatsächlich eine barrierefreie Toilette an Bord hat.

Einmal steuerten wir an der Küste zufällig einen Campingplatz an, der einen Strandrollstuhl verlieh. Damit konnte Günter mich auf einem ausgedehnten Strandspaziergang durch den Spülsaum der Brandung schieben. Die Möglichkeit, Strandrollstühle mit großen Ballonreifen auszuleihen, haben wir noch in mehreren Küstenorten entdeckt. Per Zufall fanden wir auch die "Capricorn caves", ein Höhlensystem mit Rollstuhlzugang in der Nähe von Rockhampton. Ich konnte zwar nicht in alle Höhlenabschnitte gelangen, aber es war großartig, in der "Cathedral Cave" bei Dunkelheit der CD-Stimme von Nana Mouskouri zu lauschen, als sie "Amazing Grace" intonierte. Bei der phantastischen Akustik in der Höhle war das eine meditative Erfahrung. Ich schloss die Augen und sah wieder Bilder vom Outback vor mir: endlose Weiten, spärlicher Bewuchs, rote Erde, blauer Himmel, grüne Wolken, kaum Menschen. Und plötzlich fragte ich mich, ob ich wohl in einem Ort wie Windorah leben könnte...

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